Badische Zeitung, 02.04.2016: “Heitersheimerin erhält Bundesverdienstkreuz von Gauck”

von: Sabine Model

Seit rund 20 Jahren wirbt Gertrud Schweizer-Ehrler für ihren bundesweiten Verein Tukolere Wamu, der Selbsthilfeinitiativen in Afrika fördert. Jetzt hat sie dafür das Bundesverdienstkreuz bekommen.

Bundespräsident Joachim Gauck höchstpersönlich hat es ihr verliehen. Am 13. April nimmt sie es in Stuttgart in der Villa Reitzenstein entgegen. Wie sie sich fühlt im Vorfeld dieser hohen Auszeichnung? “Komisch. Das ist nicht so mein Ding.”

Das Prozedere
Doch die 54-Jährige arrangiert sich mit der hohen Ehre: “Das Gute daran ist, dass Tukolere Wamu von der Öffentlichkeit profitiert.” Durch Aktionen und Afrikatage in Gallenweiler wurde Tukolere ein Teil der Region. Deshalb hat die Stadtverwaltung vor gut einem Jahr ausloten lassen, welche Ehrung für das außergewöhnliche Engagement von Gertrud Schweizer-Ehrler in Betracht kommt. Ministerpräsident Kretschmann schlug sie erfolgreich für das Bundesverdienstkreuz vor. Vor einem Jahr hörte Gertrud Schweizer-Ehrler mal Gerüchte. Die waren schnell wieder vergessen. Dann kam im Februar ein Brief von Winfried Kretschmann. Anfang März meldete sich Peter Friedrich, Minister für den Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten die Belange Baden-Württembergs auf bundes- und europapolitischer Ebene. Er wird die Ehrung vornehmen.

Die Verleihung
Zu dem Festakt darf Gertrud Schweizer-Ehrler 40 Familienangehörige, Freunde, Bekannte und Weggefährten einladen. Mit dabei sind der ugandische Botschafter in Deutschland und der ehemalige stellvertretende deutsche Botschafter in Uganda, der viele Projekte mit eingeweiht hat. Da die Hälfte der Gäste aus Süddeutschland kommt, zahlt die Stadt Heitersheim einen Bus. Bürgermeister Martin Löffler wurde vom Ministerium ebenfalls protokollarisch dazu gebeten. “Es ist der erste Verdienstorden, der in meine Amtszeit fällt”, freut er sich. 2002 wurde sein Vorgänger Jürgen Ehret damit ausgezeichnet und 2004 der Ehrenbürger Diethard Zirlewagen. Aufgrund des niedrigen Verwaltungsaufwandes und der unmittelbar ankommenden Hilfe sei Tukolere Wamu vergleichbar mit der Äthiopienhilfe “Menschen für Menschen” von Karlheinz Böhm, so Löffler.

Wie es dazu kam
Seit 35 Jahren ist Gertrud Schweizer-Ehrlers Leben geprägt von Afrika. Mit 19 Jahren hatte sie ihren ersten Afrika-Kontakt über ihren Onkel, den Missionar Bernhard Schweizer. 1986 ging die Kinderkrankenschwester als Entwicklungshelferin für ein Jahr nach Uganda, kehrte nach Deutschland zurück, um einen Aufbaukurs in Sozialmanagement zu machen und reiste wieder aus. Neun Jahre leitete sie in Uganda das Salem Gesundheitszentrum. Dort lernte sie ihren Mann, den Landwirtschaftsmeister Josef Ehrler kennen, heiratete und folgte schweren Herzens der Vernunft, in die Heimat zurückzukehren. Nicht ohne zuvor mit Gleichgesinnten zu vereinbaren, mit einem Fuß in Afrika zu bleiben und 1995 einen Verein zu gründen, dessen Vorsitz sie seither innehat. “Jede Hirnzelle ist mit diesem Kontinent verwurzelt”, gesteht sie.

Die Entwicklung
Was im Schwerpunktland Uganda begann, hat sich inzwischen auf Äthiopien, Burundi, Kamerun, Kongo, Senegal, Südsudan, Tansania, Togo und Kenia ausgeweitet. Inzwischen gibt es 164 Projekte mit mindestens nochmal so vielen Unterprojekten. Aktuell betreut werden noch 50, die nicht abgeschlossen sind. Der Jahresetat beläuft sich auf 200 000 Euro Einnahmen und Ausgaben. Bei den Entscheidungen über Projektanträge kann Gertrud Schweizer-Ehrler auf ein starkes Vorstandsteam zurückgreifen. Vier von sieben Mitgliedern kommen aus der näheren Umgebung. Einige sind durch Projekt-Begegnungs- oder Familienreisen zur Mitarbeit gekommen. Aber es gibt auch Reisen, in deren Verlauf neue Projekte generiert werden. “Es ist alles miteinander vernetzt”, erklärt Gertrud Schweizer-Ehrler. Drei- bis viermal im Jahr ist sie selber vor Ort. Ansonsten hat sie jeweils zuverlässige Partner oder Missionen, die prüfen und abwickeln helfen. Bis auf eine Mitarbeiterin in Uganda, die eine Aufwandsentschädigung bekommt, läuft die Arbeit überall ehrenamtlich.

Die Dimension
Wenn sich Gertrud Schweizer-Ehrler nicht um Tukolere kümmert, gibt sie freiberuflich Kurse im Auftrag der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Bad Honnef. Dabei macht sie Ausreisewillige mit kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten in Afrika vertraut. Zudem übernimmt sie entwicklungspolitische Veranstaltungen und Vorträge, für die sie über die Europäische Akademie in Bonn gebucht wird. Bevor sie den großen Tag in Stuttgart genießen kann, hält sie noch Schulungen in Bad Honnef, Erfurt und Ratingen. Die Afrika-affine Familie kennt das. Sonst wäre das nicht möglich. Die Tochter geht im Mai, ihr Mann im August mit auf Afrikareise. Der Sohn macht mit “Weltwärts” ein freiwilliges Jahr in Afrika. Aber am 13. April werden sie nach dem Festakt in Stuttgart mit rund 50 Freunden aus Heitersheim und Umgebung einen Abend lang feiern. Nach zwei Einladungen 2013 beim Bundespräsidenten zum Ehrenamtsempfang in Berlin und zum Weihnachtsfest mit Gauck in Gengenbach ist das Bundesverdienstkreuz die erste Auszeichnung für Gertrud Schweizer-Ehrler.

 

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