Badische Zeitung, 08.07.2015: “Wir haben nie Abhängigkeiten geschaffen”

BZ-INTERVIEW mit Gertrud Schweizer-Ehrler, Vorsitzende des Vereins Tukolere Wamu, der seit 20 Jahren von Gallenweiler aus Entwicklungshilfe in Afrika betreibt.

Tukolere Wamu engagiert sich mittlerweile in neun Ländern in Ost- und Westafrika. Neben dem Aufbau von medizinischer Versorgung ist das Ermöglichen von Bildung ein wichtiges Anliegen.

von: Sabine Model

HEITERSHEIM-GALLENWEILER. Am 17. August 1995 wurde der Verein Tukolere Wamu in der Nähe von Tübingen gegründet – heute hat er seinen Sitz in Gallenweiler. Die Initiatoren waren Gertrud Schweizer-Ehrler und Josef Ehrler, Gerlinde und Heinz Brünz, Martina und Andreas Reutter, Martina Wieberneit, Herbert Kappeler und Susanne Lutz. Sechs von ihnen waren mehrere Jahre in der Entwicklungshilfe tätig. Die anderen lernten durch Besuche die Lebenssituation in Uganda kennen und wollten an den scheinbar aussichtslosen Umständen etwas ändern. Was erreicht wurde, darüber sprach BZ-Mitarbeiterin Sabine Model mit Gertrud Schweizer-Ehrler.

BZ: Seit 20 Jahren gibt es Tukolere Wamu und von Anfang an sind Sie die Vorsitzende. Wie kam es dazu?
Gertrund Schweizer-Ehrler: Mit 19 Jahren hatte ich meinen ersten Afrika-Kontakt über meinen Onkel, den Missionar Bernhard Schweizer. Kurz darauf zog ich aus, um in der Entwicklungshilfe für “Salem international” in Uganda zu arbeiten. Bevor ich mit meinem Mann und Freunden neun Jahre später zurück nach Deutschland kam, beschlossen wir, einen Verein zu gründen. Wir hatten weder Ahnung noch einen Plan wie das geht, aber ein Netzwerk und das Know-how, was im Land fehlt. Vor der Abreise suchten wir zwei Partner vor Ort. Einer davon war Denis Medeyi, der 2001 Tukolerewamu Uganda gründete und dessen Vorsitz führt, um uns Empfehlungen für Hilfen zur Selbsthilfe zu geben und Projekte abzuwickeln.

BZ: Wie haben Sie begonnen?
Schweizer-Ehrler: Wir mussten zunächst viel Bürokratie überwinden, erfuhren aber überall Unterstützung. Mit neun Mitgliedern hätten wir sonst nicht viel bewegen können. Erste Projekte waren 1995 Kurse und Erste-Hilfe-Ausstattung für traditionelle Hebammen. Ein Mann mit Behinderung bekam eine Ledernähmaschine und ein Albino wurde zum Lehrer ausgebildet. Patenschaften für Waisenkinder liefen an. Das nächste war die Ausstattung einer Gesundheitsstation, die wir sukzessive mit Ambulanz, Labor und Entbindungsstation erweiterten. Spenden einiger Reise-Teilnehmer machten schließlich den Neubau eines kompletten Krankenhauses möglich.

BZ: Wie viele Projekte sind denn bisher schon gelaufen?
Schweizer-Ehrler: Auf der Liste sind wir bei Nummer 154. Davon sind 30 noch nicht abgeschlossen. Bedenkt man jedoch, dass einige Projekte noch mehrere Unterprojekte haben, kommen wir auf über 300 Projekte in Ost- und Westafrika. Inzwischen sind wir in neun afrikanischen Ländern engagiert. Dazu gehören Äthiopien, Burundi, Kamerun, Kongo, Senegal, Südsudan, Tansania, Togo und Uganda. Ein Projekt in Kenia läuft ebenfalls gerade an. Die Kontakte ergeben sich zumeist über Reisen. Dabei lernen wir Menschen und ihre Lage kennen.

BZ: Verliert man da nicht langsam den Überblick?
Schweizer-Ehrler: Nein. Wir verzetteln uns nicht. Wir haben überall Missionare, Mediziner oder andere vertrauenswürdige Ansprechpartner als feste Anlaufstellen. Sie wissen, was nötig ist, begleiten und überwachen die Projekte. Außerdem fangen wir immer mit kleinen Maßnahmen an. In Äthiopien besteht unsere erste Anschaffung aus zwei Rollstühlen für 500 Euro. Danach sieht man weiter. Aus den Projekt-Begegnungs-Reisen, die Tukolere Wamu seit 2004 in Partnerländer anbietet, ergibt sich bei den meisten Teilnehmern ein großartiges finanzielles und ideelles ehrenamtliches Engagement.

BZ: Wie hat sich denn bei dieser Expansion Ihre Kasse entwickelt?
Schweizer-Ehrler: 1995 hatten wir Einnahmen von 3277 Euro und gaben 1808 Euro aus. Inzwischen setzen wir jährlich rund 200 000 Euro um. Auf diesem Niveau möchten wir auch bleiben. Sonst ist das ehrenamtlich nicht mehr zu stemmen. Unsere gesamten Einnahmen in 20 Jahren addieren sich auf 1,86 Millionen Euro. Projektausgaben hatten wir 1,72 Millionen Euro. Das Polster ist nötig, um laufende Verpflichtungen zu erfüllen. Mitglieder haben wir mittlerweile 268. Bei einem Jahresbeitrag von 31 Euro sind diese Mittel relativ gering. Es braucht große Anstrengungen, um immer wieder Gelder zu erwirtschaften.

BZ: Ihr Jubiläum feiern sie mit Afrika-Tagen in Gallenweiler. Welchen Stellenwert hat das Motto “Afrika – Perspektiven schaffen im eigenen Land”?
Schweizer-Ehrler: Wir haben es bewusst gewählt. Es ist das Leitmotiv unserer Arbeit, dem wir 20 Jahre treu geblieben sind. Wir haben uns gekümmert um Bildung, Gesundheit, Umwelt, Landwirtschaft, Armutsbekämpfung und benachteiligte Gruppen. Aber wir haben nie Abhängigkeiten geschaffen. Wir geben Hilfen zur Selbsthilfe. Beispielsweise für die Schulspeisung schicken wir nicht jeden Monat Geld, sondern wir haben für zehn Schulen mit jeweils 600 bis 1000 Schülern Ochsen, Pflug, Saatgut und einen Klassensatz Hacken angeschafft. Damit können sie das Essen dauerhaft selber anbauen und ernten. Wir wollen nachhaltig dazu beitragen, dass die Menschen in ihren Ländern bleiben, sich ernähren und wohlfühlen können.

BZ: Erwarten Sie zu dem besonderen Fest besondere Gäste?
Schweizer-Ehrler: Es kommt der Botschafter der Republik Uganda Marcel Tibaleka, der mit Bürgermeister Martin Löffler die Afrika-Tage eröffnet. Begleitet wird der Botschafter von einer Stellvertreterin, die für den Tourismus in Uganda zuständig ist. Als unser wichtigster Partner ist Denis Medeyi bei uns. Gabriel Akou aus Côte d`Ivoire in Westafrika veranstaltet einen Afrika-Rhythmen-Workshop und die Trommelgruppe von Karim gibt dem Gottesdienst afrikanisches Flair.

BZ: Wie oft veranstaltet Tukolere Wamu Afrika-Tage?
Schweizer-Ehrler: Die gibt es jedes Jahr, an wechselnden Orten, wo engagierte Mitglieder unsere Jahresversammlung organisieren. Wir sind ja ein bundesweiter Verein. In Gallenweiler gibt es sie 2015 zum achten Mal. Weil der Sitz des Vereins hier ist, und wir durch viele helfende Hände immer ein Super-Programm zusammenstellen können, das viel Information, Unterhaltung und Gelegenheit bietet, uns zu unterstützen. Deshalb hoffen wir auf viele Gäste. Denn die Erlöse fließen in unsere Arbeit.

Zur Person: Gertrud Schweizer-Ehrler (54) ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Gallenweiler. Ausgebildet ist sie als Kinderkrankenschwester und Sozialmanagerin. Tätig ist sie in der entwicklungspolitischen Erwachsenenbildung, leitet dasProjektreise-Management und ist seit 1995 Vorsitzende von Tukolere Wamu.

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