Stuttgarter Zeitung, 26. Juni 2012

Schicksale, die man nicht beschreiben kann

Stuttgart-Vaihingen – Tue Gutes und rede darüber. Das macht Michael Elsässer, 54 Jahre, aus Vaihingen und sammelt so viel Geld für Afrika. Mit dem Erlös seiner ersten beiden Projekte hat der -kaufmännische Angestellte aidskranke Menschen in Uganda unterstützt. Mit seinem im Mai erschienenen Buch will er ehemaligen Kindersoldaten aus Uganda eine Schulausbildung finanzieren.

In diesem Frühjahr hat das Internetvideo „Invisible Children“ über die Gräuel des ugandischen Kriegsherren Joseph Kony für ein riesiges Echo gesorgt. Jetzt, kaum vier Monate später, ist Ihr Buch über die Kindersoldaten seiner Armee herausgekommen. Freuen Sie sich über diesen Zufall?

Natürlich finde ich es gut, dass das Thema der ugandischen Kindersoldaten endlich in die Öffentlichkeit kommt. Tatsächlich werde ich auch dauernd darauf angesprochen, ob ich etwas damit zu tun habe. Das ist nicht der Fall und ich möchte mich auch davon distanzieren. Ich arbeite bereits seit zwei Jahren an dem Buch.

Warum distanzieren Sie sich?

Ich halte das Video und den Zeitpunkt seines Erscheinens, für sehr fragwürdig. General Joseph Kony ist bereits seit 2006 nicht mehr in Uganda, sondern zieht mit seinen Rebellen durch benachbarte Länder. Warum erst jetzt ein Video über das, was er in mehr als zwei Jahrzehnten nahezu ungestört verbrochen hat? Es war schon vorher notwendig, die Weltöffentlichkeit darüber zu informieren, was im Norden Ugandas Schreckliches geschieht. Im Video wird dazu aufgerufen, Kony festzunehmen. Ich denke, aktuell gibt es in Uganda andere Probleme als die Verhaftung Konys.

Wie bewerten die Menschen in Uganda das Video?

Meine Bekannten berichten mir, dass das Echo dort überwiegend negativ ist. Das Land bemüht sich um den Aufbau von Tourismus – und jetzt denkt alle Welt, es tobt dort aktuell Bürgerkrieg. Einige Touristen werden sich wohl überlegen, in dieses wunderschöne Land zu reisen.

Worum geht es in Ihrem Buch „Ihr Lachen klingt wie Weinen“?

Darin berichten ehemalige Kindersoldaten und Opfer über das, was ihnen durch die Armee von Joseph Kony zugefügt wurde. Es sind Schicksale, die man fast nicht beschreiben kann. Zehntausende von Kindern wurden von seiner Armee entführt und in den Busch verschleppt. Um sie an einer Flucht zu hindern, mussten sie einen Verwandten oder Bekannten aus ihrem Dorf töten. So wurden aus Kindern Mördern. Eine Rückkehr in ihre Dörfer schien ihnen unmöglich. Sie waren heimatlos geworden.

Einige berichten, dass es Ihnen gelang, zu fliehen.

Ja, aber selbst damit war das Problem nicht gelöst. Ihre Eltern hatten ihnen verziehen und waren glücklich, ihre Kinder wieder bei sich zu haben. Aber in der Schule und in den Dörfern kannte jeder ihre Geschichte. Die meist traumatisierten Kinder erlebten dann Provokationen und Beleidigungen und reagierten darauf meist aggressiv.

Wie sind Sie in Kontakt mit den Kindersoldaten gekommen?

Ich kenne Uganda seit einigen Jahren und habe dort viele persönliche Kontakte. Darüber hinaus habe ich mit Bernadeta, einer Studentin, und Pato, einem Journalisten, Zeitzeugen aus Nord-Uganda kennengelernt. Ihnen gegenüber vertrauten sich die ehemaligen Kindersoldaten und deren Opfer an und erzählten ihre fast unbeschreiblichen Geschichten. Dafür gilt den Ungehörten mein tiefster Respekt.

Was bedeutet der Titel „Ihr Lachen klingt wie Weinen“?

Eines der Opfer, die im Buch berichten, wurde von den Rebellen überfallen und verstümmelt. Ihr Mann wurde vor ihren Augen erschlagen, ihr selbst mit Rasierklingen beide Ohren und die Lippen abgeschnitten. Sie hat überlebt und hat ihren Tätern verziehen. Aber wenn sie lachte, dann klang das durch die fehlenden Lippen für mich wie weinen.

Sie fahren in Ihrer Freizeit auf eigene Kosten nach Uganda, organisieren Benefizveranstaltungen. Was treibt Sie an?

2008 habe ich auf einer Reise durch Uganda eine Frau kennen gelernt. Sie hatte Aids, ihre beiden jüngsten Kinder haben auch Aids. Ihr Mann war Alkoholiker und gewalttätig. Kurz bevor ich sie kennen lernte, waren ihr zudem noch ihre Hühner gestohlen worden. Da fiel mir die Redewendung von Erich Kästner ein: „Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.“

Sie sagen selbst: Um Gutes zu tun, muss man nicht erst nach Afrika gehen. Es gibt auch in Stuttgart, auch hier in Vaihingen, Menschen, die Hilfe brauchen.

Afrika fasziniert mich. Die Natur, die Tierwelt, aber vor allem seine Menschen. Sie leben oft ein Leben voller Widrigkeiten, Hoffnungslosigkeit, ohne Perspektiven in meist korrupten politischen Systemen. Dennoch haben die Menschen, ihre Warmherzigkeit, Freundlichkeit und den Respekt vor den Mitmenschen nicht verloren.

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